Ein Text von Michael Günther, Regisseur und Ensemblemitglied der Shakespeare Company Berlin seit 2013:
Als ich vor Jahren die Inszenierung „Der Kaufmann von Venedig“ für die Shakespeare Company Berlin in Angriff nahm, war ich mir der Gefahren, die eine ambivalent-kritische Darstellung der Handlungsweisen eines jüdischen Protagonisten mit sich bringt, bewusst. „Shakespeares heikelstes Werk“ urteilte damals Irene Bazinger in ihrer durchaus lobenden Rezension für die Berliner Zeitung vom 7.7.2016.
Für mich als Regisseur spielte diese Thematik nur eine untergeordnete Rolle. Mir ging es um das allgemein Menschliche in der fatalen Dualität von Gut und Böse im Handeln jedes und jeder Einzelnen der portraitierten Charaktere.
Heute erlebe ich, wie die Wirklichkeit zuweilen die Kunst einholt und Stücken, die schon seit Jahren auf dem Spielplan stehen, eine ungeahnte und ungewollte tagespolitische Aktualität verleiht. Mit Blick auf den Terror der Hamas, Israels Staatspolitik und den fürchterlichen Krieg in Nahost stockt mir der Atem. Wie weit geht das Recht auf Selbstverteidigung? In welchem Moment wird das Opfer –sei es ein Staat oder eine Person- im Bemühen, Gerechtigkeit zu erlangen selbst zum Täter?
Unserer Aufführung des „Kaufmanns“ wurde neben viel Zuspruch gelegentlich der Vorwurf gemacht, antisemitisch zu sein, weil der Außenseiter in der venezianischen Gesellschaft, der Geldverleiher Shylock, als blutrünstiger Rechthaber gezeichnet sei. Ja, es stimmt: im Stück wimmelt es von antisemitischen Zuweisungen, insofern ist es antisemitisch. Auf der anderen Seite zeigen wir, durch welche Zwänge und welche Gewalt dieser Mensch böse wird, insofern ist es philosemitisch. Beide Tendenzen dürften einander aufwiegen auf der Waage der Gerechtigkeit, die im Stück als zentrales Requisit für Angst und Schrecken sorgt. Damit wären wir nah bei Shakespeare, dem genialen Sezierer der menschlichen Seele, dem nichts ferner lag, als parteiisch zu sein."
Urteilen Sie selbst: DER KAUFMANN VON VENEDIG vom 20. bis 24. August jeweils 20:00 Uhr im Theater am Insulaner. |